Danke Leipzig, danke Deutschland!  

„1813 – Kriegsfeuer“ erlebte seine eindrucksvolle Premiere vor 1400 Zuschauern an einem ganz besonderen Ort: in der Leipziger Nikolaikirche. Das war eine große Ehre für mich. Danken möchte ich auch den Lesern aus ganz Deutschland, die mit ihrem Interesse meinen Roman sofort bei Erscheinen auf die Bestsellerlisten brachten. Die Resonanz ist überwältigend.
Auch Historiker und Militärs loben die detailgetreue Darstellung, für die ich etwa fünfzigtausend Seiten Quellen gelesen habe. Ich wurde zu Lesungen in Museen und an Hochschulen eingeladen, durfte Vorträge bei Kolloquien halten – höchst ungewöhnlich für eine Romanautorin!
Literaturkritiker kamen sogar zu der Einschätzung, dass ich mit diesem Roman etwas Neues für das Genre geschaffen habe.
Was mich rührt und ermutigt: Da ich ankündigte, dass die Fortsetzung nahtlos anknüpft und bis ins Jahr 1815 führt, bekam ich aus vielen Orten entlang der Marschroute der fliehenden Grande Armée und der Alliierten quer durch Deutschland Material und Einladungen, um mir alles vor Ort anzusehen. Sogar ein Australier bot mir die Erinnerungen eines deutschen Vorfahren an, der bei Leipzig kämpfte. Vieles davon hat in „1815 - Blutfrieden“ Eingang gefunden. Impressionen von der Lesetour 2013 sind unter „Galerie“ zu finden. 

Ein Roman wider den Krieg

Frühjahr 1813: Fast ganz Europa stöhnt unter der drückenden Herrschaft Napoleons. Da die Grande Armée auf dem Russlandfeldzug vernichtend geschlagen scheint, entschließen sich Preußen und Russland zum Gegenangriff. Doch das Militärgenie Napoleon kann das Ruder noch einmal herumreißen. Nach den ersten zwei großen Schlachten im Frühjahrsfeldzug müssen sich die russisch-preußisch Allierten hinter die Neiße und Spree zurückziehen.
Im ausgebluteten, kriegsmüden Sachsen, wo die Kämpfe ausgetragen werden, stehen viele Menschen vor Entscheidungen, die nicht nur ihr Leben unwiderruflich verändern werden: ein junges Mädchen auf der Flucht vor Plünderern, ein unter Zensur stehender Buchdrucker, zwei Studenten, die zu den Lützowern wollen, eine Mutter, die immer noch auf die Rückkehr ihrer Söhne aus Russland hofft, ein General, der seinen Kopf riskiert, damit sein Land zu den Alliierten überwechselt, eine Gräfin, die aus Bewunderung für Napoleons seine Spionin wurde ...
Die von den Kriegslasten erdrückten Menschen schöpfen Hoffnung, als ein Waffenstillstand geschlossen wird. Am letzten Tag vor Ablauf des Waffenstillstands sind in allen Städten Bälle und Empfänge zu Napoleons Geburtstag befohlen. Nur Tage später marschieren die Armeen erneut gegeneinander los. Herrscher und Feldherren treffen bedenkenlos Entscheidungen, die jeden Tag tausende Leben kosten.
In der Schlacht um Dresden erringt Napoleon seinen letzten großen Sieg auf deutschem Gebiet. Doch der entscheidende Kampf um Europas Schicksal wird im Oktober 1813 bei Leipzig ausgetragen, wo sich auch die meisten der Protagonisten wiederfinden. Fünfhunderttausend Bewaffnete aus unzähligen Nationen stehen sich hier in Kälte, Regen und Hunger gegenüber. Über sie und die Stadt bricht die Apokalypse herein.
 Wie kann man über so unsäglichem Leid noch Menschlichkeit bewahren?  Ein Roman, dessen Protagonisten fast alle wirklich gelebt haben und der viele Mythen demontiert. Kein Schlachtenepos, sondern ein Buch wider den Krieg.

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Yadegar Asisis großes Panorama "Leipzig 1813" - und meine Hauptfigur Henriette mittendrin

Ein Höhepunkt des Gedenken 2013 zum 200. Jahrestag der Völkerschlacht bei Leipzig war Yadegar Asisis überwältigendes 360-Grad-Panoramabild "Leipzig 1813 - In den Wirren der Völkerschlacht" (hier in der Nachtstimmung). Wer genau hinschaute, konnte an mehreren Stellen auch Henriette entdecken - und beim Lesen der Schlusskapitel des Romans einige Details aus dem Panorama. Dafür haben Yadegar Asisi und ich auf bisher einmalige Art Bild und Buch miteinander verwoben. Ich durfte ihn in seinem Berliner Atelier besuchen, und wir besprachen, wo Henriette (von mir dargestellt) zu sehen sein kann und was sie tut. Dafür schickte ich ihm das entsprechende Kapitel das noch unveröffentlichten Manuskriptes. Andererseits nahm ich einige Szenen aus seinem Bild in dieses Kapitel auf - Beispiele unten.

Foto: Tom Schulze © asisi

Mediales Crossover – Panoramabild und Roman miteinander verwoben

Diese Aufnahme entstand als eine von vielen während der Fotoshootings für Yadegar Asisis Panorama: In den Kleidern, die Henriette auf dem Buchcover trägt, gebe ich zwei völlig erschöpften hessischen Soldaten etwas zu trinken. Die Szene habe ich auch in den Roman aufgenommen. 

Foto: Hans-Peter Günnel

Yadegar Asisi brieft die Darsteller zum Fotoshooting für das Panorama „LEIPZIG 1813 – In den Wirren der Völkerschlacht”. Bei den Biwaks sowie separaten Fototerminen mit authentisch gekleideten Mitwirkenden sind so tausende Aufnahmen entstanden, aus denen der Künstler sein Rundbild gestaltete.

Fotos (2): Tom Schulze ©asisi

Rechts das Ergebnis, ein Detail von unzähligen in dem 3500 Quadratmeter großen Kunstwerk. Aber auch an anderen Stellen kann der aufmerksame Betrachter Henriette mehrfach entdecken: wie sie einen kleinen Jungen tröstet, einem französischen Dragoner etwas zu essen gibt, zusammen mit dem Stadtschreiber einen Aushang studiert … Diese ungewöhnliche Zusammenarbeit zwischen Panoramabild-Schöpfer und Romanautorin ergab sich ganz spontan, nachdem Yadegar Asisi und ich bei einem seiner ersten Fotoshootings in Leipzig miteinander bekannt gemacht wurden. Wir stellten schnell fest, dass jeder von uns den gleichen künstlerischen Ansatz zu diesem gewaltigen Thema hat: kein Schlachtengemälde, kein Schlachtenepos, sondern jeder von uns wollte das Grauen und Elend des Krieges zeigen. Ursprünglich sollte ich nur als eine meiner Romanfiguren auf dem Großbild zu sehen sein und kam deshalb zu den Fotoshootings. Doch zwei Kreative am Werk, entwickelten wir die Ausgangsidee weiter: Ich wurde in Henriettes Kleidung in mehreren Situationen fotografiert, die im Romanmanuskript bereits niedergeschrieben waren. Dafür arrangierten die Fotografen entsprechende Situationen. Während der Arbeiten an den letzten Kapiteln meines Buches durfte ich in Yadegar Asisis Atelier schon einmal einen Blick auf Teile des Bildes werfen und habe dafür noch in meine Geschichte eingearbeitet, was Henriette auf dem Panoramabild umgibt - zum Beispiel die spanischen Soldaten, die sich um einen Hammel streiten oder die Musikkapelle. Dass Henriette ausgerechnet zwei hessischen Soldaten etwas zu trinken gibt, entstand aus der Situation bei Fotoshooting heraus. Den Dialog, den ich dazu schrieb, half mir meine Tochter und Hessische zu übersetzen, die einen Arbeitskollegen darum bat. Andere Figuren - wie der sächsische Kürassier Enge - fanden unabhängig voneinander in Roman und Bild. All das kann der Leser im Roman wiederentdecken; er erlebt beim Lesen Asisis Darstellung sozusagen mit Henriettes Augen. Es war ein sehr spannender und anregender künstlerischer Austausch, und ich hoffe, Leser und Publikum neugierig gemacht zu haben, Personen und Szenen in Bild und Buch wiederzuerkennen. Eine Gesprächsrunde zwischen Yadegar Asisi und mir mit Lesung im Manometer fand großes Zuschauerinteresse. (s. unter "Galerie")

Mythen, Lügen und Vergessen

 Ein Bericht aus der Schreibwerkstatt

 

Wussten Sie, dass Napoleon seine vernichtende Niederlage in der Völkerschlacht bei Leipzig im Oktober 1813 durchaus nicht als solche betrachtete? Eigentlich sei es ein Sieg gewesen, behauptet er in seinen Memoiren. Na gut, ein geordneter Rückzug. Doch selbst am 18. Oktober habe ihm der Sieg noch gehört. Aber dann sei die gesamte sächsische Armee zum Feind übergelaufen, mit sechzig Kanonen, die sofort auf die eben noch verbündeten Franzosen gerichtet worden seien. Ein solcher Verrat müsse ja den Ruin bewirken!
Bonaparte war eben nicht nur ein genialer Feldherr, sondern auch ein Meister der Manipulation und darin, die Augen vor Dingen zu schließen, die er nicht wahrhaben wollte. Übergelaufen waren an jenem Tag nur etwas über dreitausend Sachsen - viel mehr waren tatsächlich von der sächsischen Armee kaum übrig. Doch bei fünfhunderttausend Kombattanten auf dem Schlachtfeld sind dreitausend abgekämpfte und halb verhungerte Soldaten und vier (!) umgedrehte Geschütze nicht kriegsentscheidend.
Eine halbe Million Bewaffneter rund um Leipzig,  zehntausende Pferde, zweitausend Kanonen - wer vermag sich das vorzustellen?
Es ist ein trauriger Rekord, aber die Völkerschlacht bei Leipzig war die bis dahin größte Schlacht in der Geschichte der Menschheit. Eine neue Dimension des Tötens. Und ein Wendepunkt für die Entwicklung Europas. Deshalb erstaunt es, dass sie in den Geschichtsbüchern und in der Geschichtsbetrachtung außerhalb Leipzigs so unterrepräsentiert ist. In vielen Abhandlungen zur Napoleonischen Ära wird die Leipziger Völkerschlacht nur kurz erwähnt. Über Borodino und Waterloo gibt es Unmengen großer Romane und Verfilmungen. Nicht zur Völkerschlacht bei Leipzig.
Das war auch der Grund, weshalb vor drei Jahren der Verband Jahrfeier Völkerschlacht bei Leipzig 1813 an mich herantrat und fragte, ob ich nicht Interesse hätte, einen Roman darüber zu schreiben. Nach Lektüre meiner Bücher zum deutschen Hochmittelalter seien sie überzeugt, das könnte gelingen.
Ich sagte zu und wusste, es wird eine gewaltige Herausforderung. Die Unmengen an Literatur, die Komplexität des Themas, die Augenzeugenberichte, so schrecklich, dass man sie schon beim Lesen kaum ertragen kann ...
Ich begann, mich in die Quellen zu vertiefen, und zog nach Leipzig, um an den Orten des Geschehens zu sein. Aus der Distanz hätte ich dieses Buch nie schreiben können. Ich arbeitete mich durch zwanzig- bis dreißigtausend Seiten Fachliteratur - militärische Abhandlungen, Biografien, Augenzeugenberichte, diplomatische Geheimakten und vieles mehr.
Doch wer sich mit dem Thema befasst, der merkt sehr schnell: Das Material hierzu ist extrem widersprüchlich. Das beginnt mit den Zahlen zu Schlachtteilnehmern, den großzügig auf- und abgerundeten gegnerischen und eigenen Verlusten. Da werden Leute zum Sieger einer Schlacht erklärt, die gar nicht dabei waren. Andere, die Großes leisteten, sind vergessen – oder vergessen befohlen? Kaum zwei Augenzeugenberichte lassen sich logisch in Übereinstimmung bringen.
Und dann wurde alles noch zum Mythos verklärt.
Historiker lassen heute die Begriffe „Befreiungskrieg“ oder gar „Freiheitskrieg“ nicht mehr dafür gelten und fordern eine komplette Neubewertung. Auch wenn viele Menschen damals glaubten, für die Freiheit und ein vereinigtes deutsches Vaterland zu kämpfen - sie wurden getäuscht und ihr Opfer missbraucht. Nach dem Willen der Herrscher war dies ein reiner Krieg um Macht und Land, entschieden durch stehende Heere.
Eine moderne Gesamtdarstellung jener Zeit gibt es noch nicht. Doch wenigstens in meinem Roman wollte ich ein umfassendes Sittenbild jener Zeit liefern, das ganze Panorama mit den militärischen Ereignissen des Jahres 1813, dem zivilen Leben und der Geheimdiplomatie.
Ich wandte mich an Wissenschaftler, die Experten für dieses Thema sind und mir neue Ergebnisse und kaum bekannte Quellen zugänglich machten. Sie betreuten meine Arbeit auch als Fachgutachter, lasen jedes einzelne Kapitel und sprachen es mit mir durch. Ich grub ganz tief nach den Biografien von Menschen, an denen damals dramatische Entscheidungen hingen und die heute fast vergessen sind. Manchen kann ich rehabilitieren. Bei anderen am Denkmalssockel kratzen. Menschen und Ereignisse dem Vergessen entreißen, an die erinnert werden sollte. Wie die Schlacht um Dresden vom August 1813, die der Leipziger an Schrecken kaum nachstand.
Es gab in jenem Jahr nicht nur das Leid der Schlachten, die vielen Verwundeten, die Einquartierungslasten - es gab am 10. August auch Bälle, befohlen anlässlich Napoleons Geburtstag. Mit welchen Gefühlen mögen die Eingeladenen auf das Fest gegangen seien, wenn sie wussten, mit diesem Tag endet der Waffenstillstand?
Von vorn herein hatte ich mir zum Ziel gesetzt, so dicht wie  möglich an den Geschehnissen zu bleiben. Das gebietet der Respekt vor dem Thema und der Geschichte. Neunzig Prozent meiner Romanfiguren haben tatsächlich gelebt, nicht nur Generäle, Marschälle und Monarchen, sondern auch Zivilisten. Ich folge Tage für Tag, nicht selten auf die Stunde genau ihren Spuren und lasse sie agieren wie ihre historischen Vorbilder.
Das legt enorme Zwänge auf. Diese Geschichte ließ sich nicht auf dem Reißbrett entwerfen, sondern ich musste mich dahin führen lassen, wohin mich die Figuren führten. Doch erstaunlicherweise musste ich gar nichts künstlich verknüpfen, es war schon alles miteinander verwoben! Ich musste nicht erfinden, sondern finden und dann den Figuren Seele einhauchen, mich in ihre Köpfe hineindenken.
Es ist Zeit, diese Geschichte einmal frei von falschem Pathos und zweihundert Jahre alter mythischen Verklärung zu erzählen.
Und zwar aus sächsischer Perspektive. Denn vor allem hier fand sie statt. | 

Antikriegsroman statt Schlachtenepos

 Für die website www.droemer-knaur.de interviewte mich Alexandra Plath zum neuen Buch. Hier Auszüge daraus:

 

Im Oktober dieses Jahres gedenken wir der Völkerschlacht bei Leipzig zum 200. Mal. Wie haben Sie sich diesem epochalen Ereignis genähert? 

Zuerst einmal habe ich mir einen Überblick über den Ablauf der Ereignisse und die beteiligten Seiten verschafft und mich dann in Augenzeugenberichte vertieft, um das Geschehene visuell und emotional zu erfassen. 
Dann begann das analytische Auseinandernehmen des Materials. Die Suche nach Motiven, Hintergründen, nach Momenten, in denen alles wieder kippen konnte.
Der Ausgang dieses Kriegs stand so oft auf Messers Schneide! Rasch wurde mir klar, ich muss in der Zeit ein Stück zurückgehen und kann nicht nur die Ereignisse vom Oktober 1813 in Leipzig zeigen. Die allein sagen ja nicht viel mehr aus, als dass es schrecklich war, und das wissen wir schon. Deshalb setzt die Handlung im Frühjahr ein, als die Menschen noch hofften, Napoleon sei schon so gut wie besiegt, und geht über die Zeit des Waffenstillstandes bis zur Herbstoffensive. Dann erst führt alles zur großen Schlacht bei Leipzig. So kann ich zeigen, wie sich der Krieg Stück für Stück in das zivile Leben drängt, wie die Menschen unter Besatzung und Zensur lebten, wie der Krieg sie verändert, die Seelen zerstört. Was hinter den Kulissen in der Geheimdiplomatie lief und worum es wirklich ging. 

 

Herausgekommen ist kein „Schlachtenepos“, sondern ein großer Antikriegsroman. War das von vorne herein Ihre Intention? 

Ja, natürlich. Es geht gar nicht anders. Man kann das heute nicht mehr glorifizieren. Diese Schlacht ist fast zweihundert Jahre lang zu etwas verklärt worden, das sie definitiv nicht war: als „Befreiungskampf“ oder gar „Freiheitskampf“. Für die Herrschenden war es von Anfang an nichts anderes als ein Kampf um Macht und Land. Alle, die glaubten, dort für Ideale zu kämpfen, für Reformen, Freiheit und ein einiges deutsches Vaterland, wurden getäuscht und missbraucht. Das ist - neben den unzähligen Toten und Verstümmelten, neben den verwüsteten Landstrichen - das besonders Tragische daran. Und das musste ich zeigen. 
Das Maß der Dinge war beim Schreiben für mich immer Remarques „Im Westen nichts Neues“. 

 

Unvorstellbar und grausam, wie viele Menschen in jenen Jahren unter Krieg, Besatzung und Gewalt leiden mussten. Hat Sie die Beschreibung dieses Leides nicht teilweise zur Verzweiflung gebracht? 

Es war manchmal wirklich kaum zu ertragen, die Augenzeugenberichte zu lesen. Beschönigen durfte ich nichts. Aber man muss als Autor schon überlegen, wie und wo man Lichtpunkte setzt. Und in den ersten zwei Dritteln des Buches gibt es ja sehr viel ziviles Leben, es wird auch gelacht und geflirtet, es gibt ironische Momente, Tanzstunden, sogar einen Ball, den ich mir nicht eigens für die Leserinnen ausgedacht habe, sondern der tatsächlich stattgefunden hat - wenngleich er eine sehr spezielle Note hatte, wie Sie feststellen werden. 

 

Auf beeindruckende Weise stellen Sie in dem Roman das Leid der kleinen Leute dem Machtstreben und dem Zynismus der Mächtigen gegenüber. Verstehen Sie sich als Advokat der einfachen, „normalen“ Leute? 

Unbedingt. Ein Buch über die Völkerschlacht bei Leipzig mit Erscheinungsjahr 2013 kann nie und nimmer zum Ruhm von Königen und Kaisern gedacht sein.
Die einfachen Leute hatten die Last zu tragen, sie mussten dafür leiden, hungern und sterben. 

 

Im Nachwort betonen Sie, dass der Großteil der Personen, die in Ihrem Roman vorkommen, wirklich gelebt hat. Wie sind Sie auf sie gestoßen? 

Manche - wie Napoleon oder Blücher - sind natürlich gesetzt. Einige habe ich gezielt gesucht, wie zum Beispiel den Buchdrucker Gerlach, weil ich den Themenkreis Bücher - Zeitungen - Zensur einbringen wollte, der wichtig für das Verständnis jener Zeit ist. Auf andere stieß ich bei den Recherchen und habe dann sehr tief gegraben, um mehr über sie herauszufinden. Bei manchem hatte ich das Gefühl, der ist vergessen befohlen worden. Aber mein Instinkt sagte mir: weiter suchen, hier steckt eine spannende Geschichte! Und was ich dann fand, hätte niemand dramatischer erfinden können. Es war atemberaubend, was da zum Vorschein kam und wie alles miteinander verknüpft war. 

 

Daneben zeichnen Sie auch eindrucksvolle Porträts der Herrschenden und Mächtigen. Viele historische Figuren erscheinen dabei in einem neuen Licht – von Napoleon über den sächsischen König Friedrich August I. bis zu Graf von Metternich. Worauf basieren Ihre Darstellungen und Charakterisierungen? 

Wie gesagt, die Historiker bewerten diese Ära mittlerweile komplett neu. Also war die neueste Forschung das Maß der Dinge; nicht die verklärten Darstellungen, die sich in der Vergangenheit jede Generation so zurechtgebogen hat, wie es gerade passte. (...)
Zum sächsischen König hat mir einer meiner Fachberater, Professor Rudolf Jenak aus Dresden, hunderte Seiten Briefe, geheimer Noten und diplomatischer Protokolle aus dem Sächsischen Hauptstaatsarchiv zugänglich gemacht, die kaum bekannt sind, manche erst seit kurzem übersetzt, und die das herkömmliche Bild vom hilflosen alten sächsischen König komplett umstürzen. Friedrich August von Sachsen beherrschte das Spiel um Macht genau so wie jeder andere Monarch seiner Zeit. Nur dass ihn die Alliierten nach der Schlacht als Kriegsgefangenen verhaften und deportieren würden, konnte er nicht ahnen. Unter Königen hat man sich in der Regel arrangiert. Doch Preußen wollte Sachsen annektieren, deshalb diese drastische Wendung. 

 

Gibt es Passagen, die sie besonders gerne mögen? 

Ich denke, das Treffen zwischen Napoleon und Metternich im Sommer in Dresden ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Kabinettstückchen geworden. Die - etwas außergewöhnliche - Ballszene habe ich auch mit Genuss geschrieben. Und die atemberaubenden Ereignisse um die Festung Torgau vom Mai 1813. Die Leser werden sich auch den Rittmeister von Colomb sehr mögen. Er hat wie sein historisches Vorbild nicht nur Kompetenz, sondern auch diesen trockenen Humor, der im Originaltagebuch zwischen den Zeilen hervorblitzt. Und dann, so hoffe ich, sind mir einige sehr berührende dramatische Szenen gelungen, wie die letzte Begegnung zwischen Körner und Thielmann und etliches von dem, das Henriette erlebt. 

 

Was bedeutet Ihnen dieses Buch persönlich? 

(…) 1813 war ein Wagnis und eine Herausforderung. Aber es liegt mir sehr am Herzen, dass diese Geschichte endlich einmal erzählt wird, frei von Pathos und Heldenverklärung. Mit meinem Buch kann ich auf der Grundlage von Dokumenten Menschen rehabilitieren, die bislang zu Unrecht als Verräter galten, packende Schicksale und Ereignisse dem Vergessen entreißen - wie die Schlacht um Dresden vom August 1813, von der sicher die meisten noch nie gehört haben und die in ihrer Dramatik der Leipziger kaum nachsteht … Ich hoffe, dass mir die Leser in diese Zeit folgen, um zu erfahren, was damals geschah. Wenn ich sie dazu bewegen kann, dieses Stück unserer deutschen und europäischen Geschichte zu verstehen und darüber nachzudenken, dann haben sich all die Mühe und das Wagnis gelohnt. 

 

Im Nachwort kündigen Sie bereits eine Fortsetzung an. Können Sie uns ein wenig darüber verraten? 

Natürlich ist die Geschichte noch lange nicht zu Ende erzählt. Der Einzug der Alliierten am 19. Oktober in Leipzig ist zwar ein Markstein, aber noch lange kein Schlusspunkt. Napoleon ist zwar geschlagen, aber noch nicht aus dem Land getrieben; der Krieg geht also weiter, und das größte Elend steht Leipzig noch bevor. Europa wird neu aufgeteilt, Sachsen gespalten und zur Hälfte von Preußen vereinnahmt. Und auch im Schicksal etlicher meiner Protagonisten gibt es Cliffhanger, für die die Leser hoffentlich Auflösung erwarten. Die Fortsetzung wird quasi eine Minute nach Ende dieses Buches einsetzen und bis zum Wiener Kongress gehen. 


Ein Symbol für Versöhnung: Gedenken 200 Jahre danach am 20. Oktober 2013 bei Leipzig

Eine beeindruckende Vorführung lebendiger Geschichte gaben die nahezu 6000 Aktiven aus 27 Ländern am 20. Oktober und an den Tagen zuvor in den internationalen Biwaks in Markkleeberg südlich von Leipzig. Anders als ihre Vorfahren vor 200 Jahren kämpften sie nicht gegeneinander, sondern gedachten gemeinsam der Ereignisse vor 200 Jahren. Hier einige Fotoimpressionen; mehr unter www.leipzig1813.eu.

Der geordnete Aufmarsch verschiedener Regimenter. 

In der Mitte Reiterangriff polnischer Ulanen, die zur Elitekavalleri gehören.

Im Hintergrund: Die Alte Garde Napoleons rückt an.

Die Preußen kommen – mit Freikorps, regulären Truppen und Landwehr.

Zusammen mit MDR-Moderator Andreas Rook kommentierte ich die zweistündige Übertragung des Events durch den MDR Fotos: Patrick Künzel (6)

Und auch in anderen Jahren war ich oft und gern beim Biwak am Torhaus Dalitz in Markkleeberg dabei. Foto: Hans-Peter Günnel

Die Grimmaer Husaren hatten diesmal das Kommando über die Kavallerie und waren auch als Meldereiter eingesetzt. 

Das Medieninteresse war gewaltig: Mehr als 350 Journalisten aus dem In- und Ausland berichteten von dem Großereignis. Foto: Rolf Höckelmann 

Über Friedensfeuer, Erinnerungskultur und 

den Umgang mit Geschichte

Auf den Spuren ihrer Vorväter nach Leipzig gekommen: eine Gruppe Baschkiren.
Foto: Rafael Amantaev


„Wir sind hier, um unsere Vorfahren zu ehren, die vor 200 Jahren bei Leipzig kämpften“, sagte einer der Baschkiren, die aus der Gegend um Ufa angereist waren, in die Fernsehkamera. Und nach Ablauf der mehrstündigen historischen Gefechtsdarstellung hörte ich mehrfach Sätze wie diesen von einem preußischen Infanteristen, der völlig erschöpft auf einer Kiste hockte: „Jetzt habe ich wenigstens einen winzigen Bruchteil von Vorstellung, wie den Soldaten damals zumute gewesen war - den ganzen Tag auf dem Marsch mit 30 Kilo Gepäck. Und dabei wusste ich im Gegensatz zu ihnen, dass ich nicht sterbe, sondern danach wieder zu den Annehmlichkeiten des Lebens zurückkehren werde.“
Zwei Äußerungen, die symbolhaft dafür stehen, was die vielen Aktiven aus fast ganz Europa und sogar aus Übersee auf dem historischen Gefechtsfeld südlich von Leipzig hierher brachte, warum sie all die Strapazen einer Zeitreise ins Jahr 1813 einschließlich der kalten Oktobernächte im Zelt auf sich nahmen.
Sie beschäftigen sich auf aktive Art mit Geschichte, wollen das Leben ihrer Vorfahren verstehen lernen, betreiben dafür akribische Forschungen und legen Wert auf Authentizität bei jedem Ausstattungsstück. Das wird von vielen Historikern inzwischen als eine Art „experimenteller Archäologie“ anerkannt, und davon konnten sich in den Biwaks tausende Besucher überzeugen. Viele nutzten die Gelegenheit, mit den Uniformierten ins Gespräch zu kommen, und erlebten dabei auch sinnliche Eindrücke, die sie so schnell nicht vergessen werden - wie schwer zum Beispiel ein Infanteriegewehr jener Zeit war und mit wie wenig ein Soldat auskommen musste, der seine ganze Habe im Tornister mit sich trug und vielleicht tausend Kilometer weit weg von seinem Zuhause war.
Die Intention des Verbandes Jahrfeier Völkerschlacht bei Leipzig 1813 e.V. zeigte sich nicht nur in dem Motto „Kriegsfeuer 1813 - Friedensfeuer 2013“, sondern auch am 16. Oktober vor Auerbachs Keller. Vor einem der berühmtesten Restaurants der Welt hatten sich 250 Aktive in historischer Uniform und unzählige Leipziger versammelt. Alle Glocken läuteten, dann wurden Friedensfeuer entzündet und von Reitern in die Biwaks getragen. Ein Gänsehaut-Moment für alle, die dabei waren.
Bei der historischen Gefechtsdarstellung am 20. Oktober wurden viele militärgeschichtliche Details der Leipziger Schlacht in die Planung einbezogen und in bemerkenswerter Exaktheit dem Publikum gezeigt. Doch abgesehen davon, dass natürlich niemand zu Schaden kam, gab es noch etwas, mit dem die Organisatoren bewusst von der Geschichte abwichen.
 Es gab diesmal keine Sieger und Verlierer, sondern das Gefecht endete mit einer symbolhaften Geste, die vor 200 Jahren undenkbar gewesen wäre: Napoleon und Blücher reichten sich als Zeichen der Versöhnung die Hand.
Dann läuteten die Glocken zur Gedenkminute für die vor zweihundert Jahren Gefallenen jeglicher Nation, nehmen die Männer ihre Kopfbedeckung ab.
Noch ein Gänsehaut-Moment, nicht nur für die Aktiven aus rund 400 Vereinen weltweit, sondern auch für viele tausend Zuschauer. Manchem standen die Tränen in den Augen.
Kamen am Freitag und Samstag schon Interessenten zu Tausenden in die Biwaks, um ihre Fragen zum Soldatenleben anno 1813 loszuwerden, so wurden die Organisatoren am Sonntag, dem Tag der historischen Gefechtsdarstellung, vom Besucherstrom geradezu überrannt. Als schon 35.000 Gäste auf dem Gelände waren, musste der Kartenverkauf aus sicherheitstechnischen Gründen gestoppt werden; für mehr war das riesige Gebiet in Markkleeberg nicht zugelassen. Tausende mussten unverrichteter Dinge wieder umkehren - sehr zu ihrer eigenen Enttäuschung und der des Verbandes.
Mit solch einem Besucherstrom hatte niemand rechnen können, nicht einmal in den kühnsten Träumen. Aber so bedauerlich es ist, dass viele diesen großartigen Tag nicht miterleben durften: Die Leipziger hatten mit den Füßen abgestimmt! Sie wollten das sehen, trotz der in den Wochen zuvor künstlich aufgeheizten Debatte gegen das Reenactment, also diese Art von lebendiger Geschichtsdarstellung.
In vielen anderen Ländern ist das ein ganz selbstverständlicher und wichtiger Bestandteil der Erinnerungskultur. Zum Beispiel in Polen, woher mehr als 400 bis ins letzte Detail authentisch gekleidete Teilnehmer kamen, in Russland, woher sich 1300 Aktive angemeldet hatten, in Belgien, wo die Briten regelmäßig ihren Sieg von Waterloo nachvollziehen, auch wenn der eigentlich in Belle Alliance stattfand und vor allem Blüchers Sieg war.
Ganz zu schweigen von der Selbstverständlichkeit und Begeisterung, mit der die Amerikaner viele ihrer bedeutendsten Schlachten nachgestalten.
Welche Art von Gedenken und Erinnern ist der Dramatik der Ereignisse angemessen? 
Gedenken und Erinnern setzt zuallererst eine Beschäftigung mit dem Thema voraus, damit man weiß, wessen man gedenkt, woran erinnert werden soll.
Das ist etwas, das in den Biwaks und in den dort vertretenen Vereinen geschieht. Und sie vermitteln ihr Wissen weiter - auf Veranstaltungen, in Schulen, auch an Menschen, die nie freiwillig ein Sachbuch lesen würden.
Gedenken und Erinnern 200 Jahre nach der schrecklichen, Europa verändernden Schlacht bei Leipzig erfordert jedoch auch zwingend ein Symbol der Versöhnung. Und dieses Leuchtfeuer strahlte Leipzig von den Biwaks aus. 
Viele Gruppen, die dort gemeinsam ums Feuer saßen, waren multinational zusammengesetzt - da trugen zum Beispiel Sachsen, Tschechen, Franzosen und Belgier die gleiche Uniform, die der französischen Marinegarde; da ritt ein Schweizer bei den Grimmaer Husaren mit, weil einer seiner Vorfahren einst diesem Regiment angehörte. Das war gelebtes Europa.
Mit viel Herzblut und in ehrenamtlicher Arbeit haben unzählige Enthusiasten in dreijähriger Vorbereitungszeit dafür gesorgt und mit der historischen Gefechtsdarstellung eine Geschichtslektion der Spitzenklasse abgeliefert. Dafür verdienen sie höchste Anerkennung.
Wenn sie so noch mehr Menschen anregen konnten, sich mit ihrer, mit unserer Geschichte auseinanderzusetzen, Interesse für Geschichte zu wecken, dann haben sie noch mehr erreicht. Das bleibt, auch wenn das Gedenkjahr jetzt offiziell beendet ist.